Schorsch Kirner
Expeditionen
  Himalaya

BEI DEN HONIG-JÄGERN IM HIMALAYA

Schon oft hatte ich bei meinen Expeditionen im Himalaya von den sogenannten "Honig‑Jägern" gehört, die unter grossen Gefahren, ja sogar unter Lebensgefahr, die Bienenwaben von sehr agressiven Wildbienen ernten.

Obwohl mich dieser Brauch sehr interessierte, war es mir bisher nicht gelungen, diesen Stamm zu besuchen. Die Auskünfte, die ich über sie bekam, warem immer sehr dürftig, ich hörte lediglich, dass sie in einem abseits gelegenen Hochtal des Himalaya leben.

Bis dann die grosse Überraschung in Form eines Briefe aus Nepal kam. In diesem Schreiben bedankte sich nämlich ein Mann namens Sundar für die grosse Hilfe, die er vor Jahren als Kind von mir bekommen hatte. Durch seine Beschreibung fiel mir dann wieder ein, dass ich einmal einem jungen Burschen insofern geholfen hatte, dass ich ihn schwer verletzt in ein Krankenhaus nach Kathmandu gebracht hatte. Nun schrieb er, dass er damals von den Ärzten wieder vollständig geheilt wurde und er jetzt in der Nepalesischen Touristenbranche tätig ist und sein Vater, der damals auch dabei war, ein sogenannter "Honigmeister" seines Stammes geworden ist.

Diesen Wink des Schicksals konnte ich mir entgehen lassen und nach einigem Schriftverkehr war es dann soweit, dass mich sein Vater zu einer Honig‑Jagd mitnehmen wollte.

Anfang Dezember 2006 stand ich dann mit Herzklopfen am Flughafen in Kathmandu und hoffte, dass auch alles klappen würde, als ein gut aussehender Mann auf mich zukam ‑ es war Sundar, und auch sein Vater namens Lalung war dabei. Sie hatten mich sofort erkannt und betonten, dass es sie sehr glücklich macht, mir helfen zu können als kleine Wiedergutmachung.

Was ich dann mit Lalung erlebte, war schon sehr aussergewöhnlich.

Tagelang waren wir unterwegs, um in das kleine Dorf der Gurung zu kommen, in dem Lalung lebte. Als Freund ihres Honigmeisters war ich dort herzlich willkommen und sie waren auch gerne be­reit, mich zu einer Honigjagd mitzunehmen.

Nach einem anstrengenden Marsch erreichten wir ein kleines Tal, das von hohen Felswänden gesäumt war. Die Männer kannten die Stelle, wo in etwa 30 Metern Höhe die Waben unter einem Fels­vorsprung hingen.

Ich war dann sehr beeindruckt, wie sorgfältig und geschickt die Honigjäger mit ihren Helfern ans Werk gingen. Die etwa 20 Meter lange, selbstgefertigte Bambusleiter musste genau positioniert werden, damit die Männer mit ihren langen Stangen an sie heran­kommen können. Diese Leiter hing frei über den Felsvorsprung und 3 ‑ 4 Männer standen gleichzeitig darauf und mussten sich auch noch gegen die angreifenden Wildbienen wehren.

Es gehört schon viel Erfahrung und Geschicklichkeit dazu, diese Honigwaben zu ernten und ich bewunderte den Mut, mit dem sie in schwindelnder Höhe ihre Arbeit verrichteten.

Belohnt wurden sie am Abend mit den so begehrten Honigwaben, die sie stolz nach Hause trugen, wo sie von den Frauen und Kindern begeistert empfangen wurden, war doch alles ohne Unfall abgelaufen.

Immer, wenn ich heute zu Hause meinen Honig zum Frühstück esse, denke ich daran, wie mühsam die Gurung dieses Geschenk der Natur ernten müssen und wie achtlos wir oft damit umgehen. Das hat sich bei mir geändert.